Die Alpenkonvention in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren
Die Alpenkonvention und ihre Durchführungsprotokolle enthalten keine Bestimmungen zum Verwaltungsverfahren und zum Rechtsschutz. Für die Anwendung der Konventionsbestimmungen gilt ausschließlich das bundesdeutsche Verfahrens- und Prozessrecht. Das bedeutet, dass nur derjenige die Bestimmungen der Alpenkonvention und ihrer Durchführungsprotokolle in ein Verwaltungsverfahren oder ein Gerichtsverfahren einbringen kann, der eine klagefähige Rechtsposition innehat.
Beispiele:
- Klage einer Privatperson gegen ein Bauprojekt oder einen Bebauungsplan, wenn das Vorhaben die betreffende Person in eigenen Rechten verletzen kann.
- Klage einer anerkannten Umweltvereinigung gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Umweltrechtsbehelfsgesetz.
Der einzelne Bürger kann sich bei der Anfechtung von Verwaltungsakten in der Regel vor Gericht nur auf drittschützende Vorschriften berufen. Solche Vorschriften enthalten die Durchführungsprotokolle der Alpenkonvention nur ganz vereinzelt. In Betracht kommen z.B. die Vorschriften des Art. 6 Abs. 1 Bergwaldprotokoll bzw. Art. 14 Abs. 1 Bodenschutzprotokoll (Schutzfunktion des Bergwaldes für Siedlungen und Kulturflächen).
Anerkannte Umweltvereinigungen können demgegenüber im Rahmen ihrer Klagerechte aus dem Umweltrechtsbehelfsgesetz in weitem Umfang eine Verletzung von Konventionsbestimmungen rügen. Die Vereinigung kann sich im Gerichtsverfahren auf die Verletzung von umweltbezogenen Rechtsvorschriften (§ 1 Abs. 4 UmwRG) berufen. Die meisten Bestimmungen der Alpenkonvention und ihrer Durchführungsprotokolle dürften als umweltbezogenen Rechtsvorschriften anzusehen sein.
Ob die Klage einer Umweltvereinigung erfolgreich (begründet) ist, hängt davon ab, ob die angegriffene Entscheidung oder deren unterlassen gegen völkerrechtliche Rechtsvorschriften verstößt.
Ein solcher Verstoß liegt dann vor, wenn eine bundes- oder landesrechtliche Rechtsnorm im Lichte einer Bestimmung der Alpenkonvention oder einer Bestimmung eines Durchführungsprotokolls falsch angewendet worden ist, entweder weil ein unbestimmter Rechtsbegriff fehlerhaft ausgelegt wurde, oder weil bei Ausübung eines Ermessens- oder Abwägungsspielraums die Vorgaben der Alpenkonvention-Bestimmungen nicht berücksichtigt wurden.
Manche Bestimmungen der Durchführungsprotokolle, welche keine Entsprechung im nationalen Recht finden und hinreichend konkret formuliert sind, können auch unmittelbar anzuwenden sein. Das bedeutet, dass sie wie ein deutsches Gesetz im konkreten Fall angewendet werden müssen.
Welche Vorschriften zu den unmittelbar anwendbaren Protokollbestimmungen zählen, ist in der juristischen Literatur umstritten. Bei folgenden Vorschriften ist eine unmittelbare Anwendung zu fordern:
- Art. 11 Abs. 1 und Abs. 2 Verkehrsprotokoll (Genehmigung von hochrangigen Straßenbauprojekten)
- Art. 2 Abs. 2 Bodenschutzprotokoll (Abwägungsregel bei schwerwiegenden und nachhaltigen Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen)
- Art. 8 Abs. 2 Bodenschutzprotokoll (Abwägungsregel beim Rohstoffabbau in bestimmten Gebieten)
- Art. 9 Abs. 1 Bodenschutzprotokoll (Moorerhaltungsgebot)
- Art. 14 Abs. 1 lit. 3 und Abs. 3 Bodenschutzprotokoll (Pistenbau in Schutzwäldern und labilen Gebieten)
- Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Naturschutzprotokoll (Verpflichtung zum Erhalt von Schutzgebieten)
- Art. 6 Abs. 1 Bergwaldprotokoll (Rodungsverbot in Wäldern mit hoher Schutzfunktion)
- Art. 6 Abs. 3 Tourismusprotokoll (Abwägungsdirektive bei Vorhaben in touristisch intensiv genutzten Gebieten)
- Art. 12 Abs. 2 Tourismusprotokoll (neue Betriebsbewilligungen für Aufstiegshilfen)
- Art. 15 Abs. 2 Tourismusprotokoll (Ausübung motorisierter Sportarten)
- Art. 16 Tourismusprotokoll (Absetzen von Luftfahrzeugen)
Eine Privatperson, die einen Normenkontrollantrag gegen eine Satzung oder eine Rechtsverordnung erhebt (z.B. gegen einen Bebauungsplan), kann ausnahmsweise ebenfalls alle relevanten Vorschriften der Durchführungsprotokolle in das Verfahren einbringen. Voraussetzung ist, dass der Kläger eine Verletzung eigener Rechte geltend machen kann (z.B. den Rechtsanspruch auf gerechte Abwägung seiner privaten Belange gem. § 1 Abs. 7 Baugesetzbuch).