Europäisches Naturschutzrecht

Grundkonzeption der VRL und FFH-RL

1. Gebietsschutz

Bereits die VRL wird von der Erkenntnis geleitet, dass jede Vogelart an einen bestimmten Lebensraum angepasst ist, so dass für das Überleben der Vogelarten der Lebensraumschutz im Mittelpunkt steht. Demgemäß ist Art. 4 das zentrale Element der VRL. Nach dieser Bestimmung erklären die Mitgliedsstaaten insbesondere die für die Erhaltung der Arten des Anhangs I zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten (Abs. 1). Entsprechendes gilt für die Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser-, Überwinterungs- und Rastgebiete (Abs. 2).

Mit Urteil vom 2.8.1993 hat der Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedsstaaten die Vogelschutzgebiete ausschließlich nach den ornithologischen Kriterien auswählen müssen, die in der Vogelschutzrichtlinie genannt sind. Sowohl bei der Auswahl als auch der räumlichen Abgrenzung eines Vogelschutzgebietes dürfen wirtschaftliche Erfordernisse keine Rolle spielen, selbst wenn sie die Belange des Vogelschutzes im betreffenden Fall zwingend überwiegen. 

Die Aufnahme eines Vogelschutzgebietes in das Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ gilt mit der Meldung an die EU-Kommission als bewirkt. Einer Entscheidung der EU-Kommission über die Aufnahme bedarf es nicht.

Die im Jahr 1992 im Amtsblatt der EG veröffentlichte FFH-RL baut auf einem ausgereiften fachlichen Konzept auf. Ihm liegt die wissenschaftliche Erkenntnis zugrunde, dass sich in der Natur unter bestimmten äußeren Bedingungen (Klima, Wasser- und Nährstoffangebot, geologische Gegebenheiten, menschliche Nutzung) bestimmte Vegetationstypen herausbilden (Beispiele: Magere Flachland-Mähwiesen; Waldmeister-Buchenwald). Die Vegetationstypen, die besonders artenreich sind, werden als schützenswerte Lebensraumtypen definiert. Die FFH-RL verpflichtet die Mitgliedsstaaten in Art. 3 und 4, ein Netz von Schutzgebieten auszuweisen, mit dessen Hilfe die definierten Lebensraumtypen dauerhaft erhalten werden können. Ergänzt wird der Gebietsschutz durch die Definition schützenswerter Tier- und Pflanzenarten in Anhang II, die bestimmte Lebensgemeinschaften repräsentieren. So kann ein Laubwaldbestand deshalb besonders schutzwürdig sein, weil dort eine bestimmte Tierart mit hohen Lebensraumansprüchen vorkommt.

Die Mitgliedsstaaten müssen eine fachliche Auswahl treffen, welche Gebiete am besten geeignet sind, den Schutz der Lebensraumtypen und Arten zu gewährleisten. Die Auswahl gliedert sich in 3 Phasen: Die Vorauswahl durch die Mitgliedsstaaten, die gemeinsame Auswahl durch die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten und die endgültige Festlegung durch die EU-Kommission nach Anhörung des Habitatausschusses.

Die Phase 3 wurde im Februar 2008 mit der Annahme der sechs Listen der verschiedenen biogeografischen Regionen durch die EU-Kommission abgeschlossen.

An die EU-Kommission gemeldete Vogelschutzgebiete und in die Gemeinschaftsliste aufgenommene FFH-Gebiete unterliegen dem Schutzregime des Art. 6 FFH-RL.

Vor Inkrafttreten der FFH-Richtlinie hatte der EuGH entschieden, dass die EU-Vogelschutzgebiete nur verkleinert oder nachteilig verändert werden dürfen, wenn außerordentliche Gründe des Gemeinwohls vorliegen, die Vorrang vor den Belangen des Vogelschutzes haben. Dazu zählen nur Belange zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit (Urteil v. 28.02.1991 – C 57/89: Kommission ./. Deutschland – „Leybucht“). Seit dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie regelt Art. 7, dass die „Eingriffsregelung“ des Art. 6 Abs. 2 - 4 FFH-Richtlinie auch für EU-Vogelschutzgebiete gilt. Meldet ein Mitgliedsstaat ein Gebiet jedoch nicht, obwohl es zwingend zu melden wäre, ist Art. 7 FFH-Richtlinie für dieses Gebiet (= faktisches Vogelschutzgebiet) nicht anwendbar. Denn ein Mitgliedsstaat darf keinen Vorteil aus der nicht ausreichenden Umsetzung des EU-Rechts ziehen (Urteil v. 07.12.2000 – C-374/98: Kommission ./. Frankreich – „Basses Corbière“). Somit verbleibt es in diesen Fällen bei den strengen Ausnahmeregelungen des Leybucht-Urteils.

In Bezug auf FFH-Gebiete sind die Bestimmungen über die Verträglichkeitsprüfung und die in Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL vorgesehenen Schutzmaßnahmen erst dann anzuwenden, wenn das betreffende Gebiet in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wird, die von der EU-Kommission nach dem Verfahren des Art. 21 FFH-RL erstellt wurde bzw. wird. Im Zeitraum zwischen der Meldung an die Kommission und die Verabschiedung der Gebietsliste waren die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die ökologische Bedeutung von gemeldeten oder zwingend zu meldenden Gebieten (= potentielle FFH-Gebiete) zu wahren, bis über deren Aufnahme in die Gemeinschaftsliste entschieden ist (Urteil v. 13.01.2005 – C 117/03 Vorabentsch. Tribunale amministrativo – „Timavo-Mündung/Dragaggi”). Solche Maßnahmen sind auch in Bezug auf gebietsexterne Nahrungshabitate zu ergreifen, wenn die durch das FFH-Gebiet zu schützenden Tierarten auf diese Flächen zwingend angewiesen sind und sich daraus die Verpflichtung ergibt, das FFH-Gebiet neu abzugrenzen. (BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 - 9 A 5.08).

2. Artenschutz

Die VRL ordnet über den Lebensraumschutz hinaus in Bezug auf die Tötung und das Fangen von Vögeln, die Zerstörung von Eiern und Nestern oder das absichtliche Stören während der Brut- und Aufzuchtszeiten konkrete Verbote an (Art. 5). Die VRL trifft außerdem Anordnungen bezüglich des Handelns (Art. 6) und der Jagd (Art. 7). Von diesen Verboten können die Mitgliedsstaaten nach Maßgabe des Art. 9 VRL abweichen.

Auch die FFH-RL gibt den Mitgliedsstaaten den Schutz bestimmter Arten vor, die als „streng geschützt“ in Anhang IV aufgelistet sind. Die Fortpflanzungs- und Ruhestätten dieser Arten sind auch außerhalb von Natura 2000-Gebieten gem. Art. 12 FFH-RL zu schützen. Ausnahmen regelt Art. 16 FFH-RL.

Der europäische Artenschutz, insbesondere gem. Anhang IV, ist lückenhaft und keinesfalls deckungsgleich mit der tatsächlichen Gefährdungssituation einzelner Arten. So fehlen beispielsweise zahlreiche vom Aussterben bedrohte Insekten- und Pflanzenarten in Anhang IV, während z.B. alle europäischen Fledermausarten streng geschützt sind (etwa auch die vergleichsweise verbreitete Zwergfledermaus).

Die gleiche Schwäche haftet auch dem Anhang I der VRL an, der die Arten auflistet, für die Vogelschutzgebiete ausgewiesen werden sollen.

Aus diesem Grunde focussiert die rechtliche Auseinandersetzung bei Bauprojekten immer wieder auf die gleichen Arten, was mitunter bei den beteiligten Juristen Verwunderung oder gar Erheiterung auslöst („Nicht schon wieder der Wachtelkönig…“).