Wasserkraft und Naturschutz

Wie können sich Naturschutzverbände im Genehmigungsverfahren für Wasserkraftwerke beteiligen?

I. Verfahren

1. Gesetzliche Mitwirkungsrechte als anerkannter Naturschutzverein

Bei bestimmten Genehmigungsverfahren räumt das Naturschutzgesetz den anerkannten Naturschutzverbänden ein Recht auf Beteiligung ein.

a) Planfeststellungsverfahren

Gem. § 63 Abs. 2 Nr. 6 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) haben anerkannte Naturschutzverbände das Recht zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten in Planfeststellungsverfahren, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind.
Gem. § 68 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) bedarf die Herstellung, Beseitigung oder wesentliche Umgestaltung eines Gewässers einer Planfeststellung.
Die andere Form der Gestattung im Wasserrecht ist die Erlaubnis oder Bewilligung einer Gewässerbenutzung (§§ 8 Abs. 1, 9 WHG). Dazu gehört das Aufstauen eines Gewässers oder das Ableiten und die Wiedereinleitung von Wasser in ein oberirdisches Gewässer. Somit stellt sich im Einzelfall die Frage, ob die Errichtung eines Wasserkraftwerks eine Benutzung in Form des Aufstauens/Ableitens oder eine planfeststellungspflichtige Umgestaltung eines Gewässers darstellt.
Ein Ausbau ist immer dann anzunehmen, wenn der Gewässerzustand in einer für den Wasserhaushalt oder in sonstiger Hinsicht bedeutsamen Weise verändert wird, z.B. eine umfangreiche Erhöhung des Wasserspiegels verbunden mit einer see- oder teichähnlichen Anlage. Das bedeutet: Wird ein Fließgewässer zwar angestaut, bleibt es aber im Wesentlichen in seinem bisherigen Gewässerbett, wird dies eher eine Benutzung darstellen. Entsteht durch ein Stauwehr hingegen ein teichähnliches Gewässer mit neuem Uferverlauf, spricht dies für einen planfeststellungspflichtigen Gewässerausbau.

Wichtig: Unterlässt die Genehmigungsbehörde ein an sich erforderliches Planfeststellungsverfahren und weicht in rechtswidriger Weise auf ein Erlaubnisverfahren aus, schließt dies das Beteiligungsrecht der Naturschutzverbände nicht aus (BVerwG v. 14.05.1997 – 11 A 43.96; BayVGH v. 31.08.1996, 8 B 95.1786).
Wichtig: Bei nicht UVP-pflichtigen Gewässerausbauten kann gem. § 68 Abs. 2 WHG anstelle des Planfeststellungsverfahrens ein Plangenehmigungsverfahren durchgeführt werden. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, besteht kein Beteiligungsrecht der Verbände (zur UVP-Pflicht von Gewässerausbauten siehe unten Nr. 2)

b) Eingriffe in Schutzgebiete

Gem. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG sind die anerkannten Naturschutzverbände zu beteiligen vor Befreiungen von Verboten und Geboten in Schutzverordnungen für Naturschutzgebiete, Nationalparke und Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und europäische Vogelschutzgebiete.
Sollen Handlungen erlaubt werden, die in ein existierendes Naturschutzgebiet eingreifen, ist eine Befreiung einzuholen. Für das Beteiligungsrecht spielt es keine Rolle, ob der Eingriffsverursacher für die erlaubnispflichtige Handlung neben der naturschutzrechtlichen Befreiung noch eine weitere Genehmigung benötigt (z.B. wasserrechtliche Erlaubnis). In diesem Falle wird die Befreiung im Rahmen der Erlaubnis im Einvernehmen mit der zuständigen Naturschutzbehörde erteilt, so dass die Verbandsbeteiligung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchzuführen ist.
Wichtig: Das Beteiligungsrecht besteht auch dann, wenn die zuständige Behörde ein Befreiungsverfahren überhaupt nicht durchgeführt hat, obwohl eine naturschutzrechtliche Befreiung erforderlich gewesen wäre (VG München v. 29.09..2005 – M 9 K 05.2292; VG Regensburg vom 19.01.2009 – RO 8 K 08.612).
Viele Natura 2000-Gebiete sind nicht unter förmlichen Schutz gestellt worden oder liegen im Bereich von Landschaftsschutzgebieten oder Naturparken, die lange vor Inkrafttreten der Schutzvorschriften für die europäischen Schutzgebiete festgesetzt wurden. Das ab 1.3.2010 geltende BNatSchG erstreckt die Mitwirkung auf alle in die Liste der EU-Kommission aufgenommenen FFH-Gebiete bzw. die an die EU-Kommission gemeldeten Vogelschutzgebiete. Auf eine Unterschutzstellung nach nationalem Recht kommt es nicht mehr an.

2. Beteiligung im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung

Wie jede natürliche Person kann auch ein Naturschutzverband im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung im UVP-Verfahren zu einem Wasserkraftwerk Stellung nehmen. Auf diese Möglichkeit ist der Verband beschränkt, wenn das Kraftwerk nicht planfeststellungspflichtig ist und außerhalb eines Schutzgebietes liegt.
Eine Öffentlichkeitsbeteiligung findet statt, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
Das UVPG listet in der Anlage 1 alle Vorhaben auf, für die eine UVP bei wasserrechtlichen Vorhaben in Betracht kommt.
Die Anlage enthält zwei Spalten: In Spalte 1 sind die Vorhaben, für die eine UVP zwingend vorgeschrieben ist, mit einem „X“ gekennzeichnet. Dazu zählt der Bau eines Stauwerks mit mehr als 10 Mio. m3 Speichervolumen (Nr. 13.6.1).
Die Spalte 2 kennzeichnet Vorhaben, für die eine allgemeine Vorprüfung gem. UVP-Gesetz („A“) oder eine standortbezogene Vorprüfung („S“) durchzuführen ist. In der Vorprüfung wird eine überschlägige Einschätzung vorgenommen, ob das Vorhaben erheblich nachteilige Umweltauswirkungen haben kann. Dazu zählen Stauwerke oder sonstige Anlagen zur Zurückhaltung von Wasser mit einem Volumen von weniger als 10 Mio m3 (Nr. 13.6.2: „A“) und allgemein die Errichtung und der Betrieb von Wasserkraftanlagen (Nr. 13.4: „A“). Da bei Wasserkraftanlagen fast immer erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind, ist eine UVP-Pflicht die Regel.

Wichtig: Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 ist das UVP-Gesetz auch auf Vorhaben anzuwenden, die die Änderung oder Erweiterung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer technischen Anlage zum Gegenstand haben. Erweiterungen bestehender Wasserkraftanlagen können demnach ebenfalls UVP-pflichtig sein.

II. Inhaltliche Einwendungen

Einwendungen können prinzipiell zu allen Fragen des betreffenden Vorhabens erhoben werden, einschließlich energiepolitischer Themenkomplexe. Äußert sich der Naturschutzverband als Teil der Öffentlichkeit im Rahmen der UVP oder eines Planfeststellungsverfahrens, erstreckt sich das Äußerungsrecht auf alle Bedenken, die mit den Umweltauswirkungen des Wasserkraftwerks zusammenhängen.
Beteiligt sich der Verein (auch) im Rahmen seines Mitwirkungsrechts gem. § 63 BNatSchG, ist das Beteiligungsrecht auf naturschutzfachliche und naturschutzrechtliche Fragen beschränkt.

II. Gegenstand des Mitwirkungsrechts

1. Planfeststellungsverfahren

a) Naturschutzrecht

Gerügt werden kann die nicht ordnungemäße Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG); Fehler im landschaftspflegerischen Begleitplan können z.B. aus einer unzureichenden Datengrundlage, einer falschen Bewertung der Eingriffsschwere oder ungeeigneten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen entstehen.
Liegt das Vorhaben in einem gemeldeten FFH- oder Vogelschutzgebiet nach EU-Recht oder kann es sich auf ein solches Gebiet auswirken, ist auf die Einhaltung des § 34 BNatSchG zu achten. Oftmals wird die Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung verneint, weil eine Verträglichkeitsabschätzung (angeblich) ergeben hat, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen des Schutzgebietes zu erwarten sind.
Eine solche Feststellung genügt in vielen Fällen nicht den strengen Anforderungen der Rechtsprechung, die aus Gründen der Vorsorge eine Verträglichkeitsprüfung nur dann nicht für erforderlich hält, wenn auf der Grundlage der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele ausgeschlossen werden kann.
Im Übrigen stellt sich die Frage, ob ein Wasserkraftwerk aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist.
Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens kann auch das besondere Artenschutzrecht (§§ 44 ff. BNatSchG) zum Gegenstand der Einwendung gemacht werden.

b) Wasserrecht

Nach der Vorschrift des § 27 Abs. 1 WHG (Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie) sind oberirdische Gewässer so zu bewirtschaften, dass ihr ökologischer und chemischer Zustand sich nicht verschlechtert. Gemeint ist damit jede, auch nur graduelle nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften. Dieses Bewirtschaftungsziel gilt bezüglich des ökologischen Potentials und des chemischen Zustands auch für erheblich veränderte Fließgewässer.
Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot sind gem. § 31 Abs. 2 WHG nur aus Gründen des übergeordneten öffentlichen Interesses zulässig. Dazu gehört auch der Fall, dass der Nutzen für eine nachhaltige Entwicklung (z.B. Energieerzeugung ohne CO2-Ausstoß) den Bewirtschaftungszielen des Gewässers in der Abwägung vorgeht.
Bei der Errichtung oder wesentlichen Änderung eines Wasserkraftwerks sind zudem die Vorschriften der §§ 34, 35 WHG zu beachten. Nach § 34 Abs. 1 WHG dürfen Stauanlagen nur zugelassen werden, wenn durch geeignete Einrichtungen und Betriebsweisen die Durchgängigkeit des Gewässers erhalten oder wiederhergestellt wird, soweit dies erforderlich ist, um die Bewirtschaftungsziele zu erreichen.
§ 35 WHG knüpft die Zulassung einer Wasserkraftnutzung an die Bedingung, dass geeignete Maßnahmen zum Schutz der Fischpopulation ergriffen werden.

c) Alpenkonvention

Im Geltungsbereich der Alpenkonvention (Landkreise Oberallgäu, Ostallgäu, Weilheim-Schongau, Garmisch-Partenkirchen, Bad-Tölz/Wolfratshausen, Miesbach, Rosenheim, Traunstein und Berchtesgadener Land) ist die Einhaltung des Art. 7 Abs. 1 und 3 des Energieprotokolls der Alpenkonvention zu beachten. Dabei handelt es sich um folgende unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Vorschrift:

„(1) Die Vertragsparteien stellen sowohl bei neuen als auch soweit wie möglich bei schon bestehenden Wasserkraftanlagen die ökologische Funktionsfähigkeit der Fließgewässer und die Unversehrtheit der Landschaften durch geeignete Maßnahmen wie die Festlegung von Mindestabflussmengen, die Umsetzung von Vorschriften zur Reduzierung der künstlichen Wasserstandsschwankungen und die Gewährleistung der Durchgängigkeit für die Fauna sicher. (...)
(3) Sie verpflichten sich des weiteren, den Wasserhaushalt in den Trinkwasserschutz- und Naturschutzgebieten mit ihren Pufferzonen, in den Schon- und Ruhezonen sowie in den unversehrten naturnahen Gebieten und Landschaften zu erhalten.“

Art. 7 Abs. 3 EnerP stellt zwingend zu beachtende Vorgaben für die Genehmigung einer Wasserkraftanlage auf, wenn sich die Anlage auf ein Naturschutzgebiet, ein Trinkwasserschutzgebiet (einschließlich deren Pufferzonen) oder auf Schon- und Ruhezonen sowie unversehrte naturnahe Gebiete und Landschaften auswirkt. Die Verpflichtung, den Wasserhaushalt zu erhalten, ist so zu verstehen, dass sowohl die Menge und Qualität des Grundwassers als auch die Abflussmenge und Abflussgeschwindigkeit des Wassers in Fließgewässern nicht nachteilig verändert werden darf. Die Vorschrift wirkt ebenso wie die §§ 25 a, 25 b WHG als Verschlechterungsverbot für den Wasserhaushalt in bestimmten Gebieten.
Im Gegensatz zu § 27 WHG sieht Art. 7 Abs. 3 EnerP jedoch keine Ausnahmen von dem Verschlechterungsverbot vor. Somit verschärft Art. 7 Abs. 3 EnerP die Genehmigungsvoraussetzungen für Wasserkraftwerke gegenüber den nationalen Rechtsvorschriften.

d) Umweltverträglichkeitsprüfung

Die Umweltverträglichkeitsprüfung, die streng genommen eine Umweltfolgenprüfung ist, gliedert sich in drei Phasen: Eine Ermittlung der wesentlichen Umweltauswirkungen, eine Bewertung der ermittelten Auswirkungen anhand der rechtlichen Vorgaben und die Berücksichtigung der Umweltauswirkungen im Rahmen der Genehmigungsentscheidung. Wasserkraftanlagen können über die gewässerökologischen, naturschutzfachlichen Folgen hinaus auch andere Belange beeinträchtigen wie etwa den Naturgenuss und die Erholung. Diese Belange können zusätzlich im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung in das Verfahren eingebracht werden.

3. Wasserrechtliches Erlaubnis- oder Bewilligungsverfahren

Ist die Errichtung oder Änderung eines Wasserkraftwerks nicht mit einem Ausbau oder einer wesentlichen Veränderung des Gewässers verbunden (siehe oben), ist für den Bau und Betrieb einer Wasserkraftanlage ein wasserrechtliches Erlaubnis- oder Bewilligungsverfahren durchzuführen (Beispiel: Bei einem bestehenden Ausleitungskraftwerk soll die Menge des Restwassers im Fließgewässer verringert werden). Das Mitwirkungsrecht der anerkannten Naturschutzvereine ist in solchen Fällen auf bestimmte Schutzgebiete beschränkt (siehe oben). Der Verein kann vorbringen, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Verboten zum Schutz des Gebietes nicht erfüllt sind.
In diesen Fällen erstreckt sich das Mitwirkungsrecht nicht auf das besondere Artenschutzrecht oder die Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. Diese Belange können aber im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgetragen werden, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird.

III. Rechtsschutz

Nach § 64 BNatSchG können anerkannte Naturschutzverbände nachfolgende Verwaltungsakte gerichtlich angreifen:

  • Planfeststellungsbeschlüsse über Vorhaben, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind, sowie Plangenehmigungen, soweit eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist;
  • Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparken und Schutzgebieten nach der FFH- und Vogelschutzrichtlinie.

Der anerkannte Naturschutzverein darf sich im gerichtlichen Verfahren nur auf die Verletzung von Vorschriften berufen, die zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege dienen sollen. Er muss außerdem geltend machen, in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt zu sein. Schließlich ist die Klage nur zulässig, wenn der Verein sich zuvor im jeweiligen Genehmigungsverfahren geäußert hat oder ihm die Gelegenheit zu einer Stellungnahme in rechtswidriger Weise versagt worden ist (sh. § 64 Abse. 1, 2 BNatSchG).
In ähnlicher Weise können anerkannte Naturschutzvereine auch im Rahmen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (URG) gegen bestimmte Verwaltungsakte klagen.
Einer Vereinsklage nach dem URG zugänglich sind Planfeststellungsbeschlüsse nach § 68 WHG (Gewässerausbau), für die gesetzlich verpflichtend eine UVP durchgeführt werden muss, sowie wasserrechtliche Erlaubnisse gem. § 8 WHG.
Die Klagerechte gemäß § 63 BNatSchG und § 1 UmwRG überschneiden sich teilweise.
Bei einer Vereinsklage gem. § 63 BNatSchG prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt Rechtsvorschriften verletzt, die zumindestens auch dem Naturschutz oder der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind. Dazu gehören neben den Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes und des Bayerischen Naturschutzgesetzes beispielsweise Vorschriften des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) oder des Wasserrechts, soweit sie dem Schutz von Natur und Landschaft dienen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften der Alpenkonventionsprotokolle (z.B. Art. 7 EnerP).